Coburgs dunkelste Zeit – Wozu Hass und Hetze führen.

Ein gemeinsames Projekt von Comun e.V., des DGB Oberfranken, der Evangelische Erwachsenenbildung Oberfranken West und der Initiative Stadtmuseum Coburg.

Auf acht Stelen in der Innenstadt wird daran erinnert, was Rechtsextremismus an Terror und Gewalt für die Coburger mit sich brachte. Es wird sichtbar und nachvollziehbar, wie Menschen in unwürdiger und diskriminierender Weise behandelt wurden, weil sie nicht dem Denken der Nazis entsprachen, wie beispielsweise jüdische Mitbürger*innen, die ermordet oder vertrieben wurden, Minderheiten und Menschen mit Einschränkungen oder politisch Andersdenkende, die in der Prügelstube schwere Misshandlungen erlitten. Thematisiert werden auch die traumatischen Erfahrungen und die lebensbedrohliche Gewalt, welchen besonders Jugendliche oder junge Soldaten in der in der Endphase des Krieges ausgesetzt waren. Mehr Informationen, Bilder und den Podcasts gibt es hier.


Standorte der Ausstellung

Markt/Rathaus

Ilse Kohn Platz


Ihr findet alle Folgen bei:

Samsung POdCast

der Anfang

Der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund veranstaltete vom 14. bis 15. Oktober 1922 in Coburg den sogenannten „3. Deutschen Tag“, später in der Propaganda auch „Sturm auf Coburg“ genannt. In diesem Jahr wurde erstmals die Münchner SA eingeladen, wobei unter anderem zahlreiche NS-Größen wie Adolf Hitler und Julius Streicher teilnahmen. Hitler reiste mit einem Sonderzug mit ca. 650 SA-Männern und einer Marschkapelle an. Insgesamt kamen etwa viertausend Teilnehmer. Mit dabei als Besucher war auch der später als „Hitlers Herzog“ bekannte Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha, der erheblich dazu beitrug, die politischen Verhältnisse in Coburg zu ändern. Die Veranstaltung gilt als einer der ersten öffentlichen Massenauftritte der Sturmabteilung (SA). Bereits kurz nach dem Eintreffen der Nationalsozialisten kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten aus der örtlichen Arbeiterschaft, dem umliegenden Industriegebiet und aus Südthüringen. 

Straßenkämpfe, Prügeleien und nächtliche Rollkommandos, bei denen Nationalsozialisten ihre  Gegner festnahmen und misshandelten, prägten Coburg an diesem Wochenende. Diese Zusammenstöße setzten sich über beide Tage und die Nacht fort. Angesichts der Erfahrungen vom sogenannten Coburger Blutsonnabend am 3. September 1921 reagierte die Polizei jedoch eher zögerlich. Insgesamt dominierte die SA den „Deutschen Tag“, indem sie unter anderem den Saalschutz im Hofbräuhaus übernahm und einen “Marsch” auf die Veste Coburg durchführte. Für die NSDAP wurde der „Deutsche Tag“ in Coburg zum Parteimythos, es gab Ehrenmünzen und der Jahrestag wurde gefeiert als Befreiung von der Herrschaft der „Roten“. (Autor: Oliver Pieschel)

Der Auftakt zum Völkermord – vor den Augen der Bevölkerung

Der 9. November 1938 ist der Tag, an dem organisierte Schlägertrupps der SA jüdische Geschäfte, Gotteshäuser und andere Einrichtungen in Brand setzten. Es ist der Tag, an dem Tausende Jüdinnen und Juden misshandelt, verhaftet oder getötet wurden. Spätestens jetzt konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatliche Politik geworden waren. Dieser Tag war ein erstes Signal zum größten Völkermord in der Geschichte.

In Coburg begann am 9. November 1938 die SA mit der Demolierung von Geschäften, drang gewaltsam in Wohnungen ein, verfolgte und misshandelte Juden und Jüdinnen auf offener Straße. In der Nacht auf den 10. November gingen die Ausschreitungen weiter. Ebenso wurde die provisorische Synagoge in der Hohen Straße verwüstet und ihrer Kultgegenstände beraubt. Jüdische Männer hielt man willkürlich in der Angerturnhalle gefangen. Sie wurden über Wochen im Gefängnis von Hof inhaftiert.

Die Folgen: Jüdinnen und Juden durften fortan keinen Handel, kein Handwerk und kein Gewerbe mehr betreiben. Ihnen wurde in Deutschland damit jegliche Existenzgrundlage genommen. Wer konnte, flüchtete aus Deutschland.

Bericht einer Zeitzeugin

Die damals elfjährige Anne Rubin, geb. Forchheimer, erinnerte sich an die Ereignisse des 10. November 1938:

„In unserer Wohnung warteten weiter zwei SA-Männer auf uns. […] Bald waren alle 40 jüdischen Familien zusammengetrieben. […] Wir mussten uns in drei Reihen aufstellen und durch Coburg laufen. Mir schien es, als ob die gesamte Bevölkerung der kleinen deutschen Mittelstadt auf den Gehsteigen versammelt war, um uns zu verhöhnen und zu verspotten. Niemand zeigte sich uns gegenüber freundlich. Ihren Gesichtern nach zu urteilen, waren wir nicht ihre Nachbarn, wir waren ihre Feinde.” 

Anne Rubin (Hubert Fromm: Die Coburger Juden S.99 f.)

Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert formierte sich die Arbeiterbewegung auch in Coburg, insbesondere in den Bereichen Textil- und Maschinenbau. Arbeitervereine und Gewerkschaften entstanden, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. 1874 fand der 6. Kongress der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (später SPD) in Coburg statt. Auf der Tagesordnung stand: Die politische Stellung der SDAP (W. Liebknecht, J. Motteler); die industrielle und ländliche Arbeiterfrage (Th. Yorck, K. Grillenberger). Die SPD gewann in Coburg im frühen 20. Jahrhundert zunehmend an Einfluss und entwickelte sich zu einer wichtigen politischen Kraft. In den 1920er Jahren kam es zu wachsenden Spannungen mit der NSDAP, die Coburg zu einem ihrer frühen Stützpunkte machte – darunter der sogenannte „Deutsche Tag“ (mehr Informationen auf der Rückseite). Schon 1929 war Coburg die erste Stadt in Deutschland, in der die NSDAP mit 45,7 % eine Mehrheit im Stadtrat erlangte. Die Arbeiterpartei SPD erreichte bei den Stadtratswahlen 27,3 %. 

Der Kampf der NSDAP richtete sich mit zunehmender Gewalt gegen ihre politischen Gegner. Besonders gravierende Beispiele sind die beiden folgenden Vorfälle: Das sozialdemokratische Landtagsmitglied Franz Klingler wurde am 15. Januar 1930 überfallen und bewusstlos geschlagen. In der Nacht vom 29. auf den 30. November des gleichen Jahres griff eine Gruppe von Nationalsozialisten SPD-Anhänger an, die nach einer Parteiveranstaltung in offenen Lastwagen auf der Staatsstraße zwischen Coburg und Neustadt unterwegs war. Die Angreifer bewarfen die Lastwagen mit Steinen und Flaschen, wobei ein Fahrer schwer verletzt wurde, als sein Fahrzeug eine Böschung hinabstürzte. Insgesamt gab es zwei Schwerverletzte und 14 Leichtverletzte. Bei der Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 erhielt Adolf Hitler in Coburg 48,5 % der Stimmen. Nach der Machtübernahme 1933 besetzte die SA im Zuge der Zerschlagung der Gewerkschaften das Volkshaus in der Judengasse 5, beschlagnahmte dessen Vermögen und übergab es an die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation. Im Zuge der  „Machtergreifung“ in ganz Deutschland kam es in Coburg zu einer Verhaftungswelle, bei der 152 Regimegegner, darunter Sozialdemokraten, KPD-Anhänger und Juden, festgenommen wurden. Die Opfer wurden in die sogenannte Folterkammer „Prügelstube“ im Innenhof des Rathauses gebracht, wo SA- und SS-Männer in den Monaten März und April 1933 Verhöre unter grausamer Gewaltanwendung durchführten. Im Zuge dieser Aktion wurden 31 Personen ins KZ Dachau deportiert. Im Juli 1933 wurden die sieben noch verbleibenden SPD-Stadträte abgesetzt. Dies bedeutete vorerst das Ende der Arbeiterbewegung in Coburg. Erst nach dem Ende des Dritten Reiches konnte die Bewegung wieder erwachen. (Autor: Oliver Pieschel)

Euthanasie

Die systematische Vernichtung „unwürdigen Lebens” ging noch den massenhaften Morden in den Konzentrationslagern voraus. 

Mit der Aktion T4, benannt nach der Tiergartenstraße 4 in Berlin, sollte die sogenannte “Erbgesundheit” des deutschen Volkes hergestellt werden. Diese Verbrechen basierten daher auf der Grundlage der nationalsozialistischen Rassenlehre und der Forderungen zur Vernichtung „unwerten Lebens“, dazu zählten Kinder und Erwachsene mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen. Voraus ging eine systematische Erfassung, und in vielen Fällen wurde schon vor der Einweisung eine Zwangssterilisierung durchgeführt. Diese in Oberfranken erfassten Personen wurden aus Privathaushalten und Krankenhäusern überwiegend in die damalige Kreisirrenanstalt Kutzenberg eingewiesen. 

Die berüchtigten grauen Busse brachten sie dann von dort aus in eine der sechs zentralen Tötungsanstalten des Reiches. Für die meisten Oberfranken waren dies die Anstalten Hartheim bei Linz in Oberösterreich oder Pirna in Sachsen. Allein in diesen Einrichtungen starben über 45.000 Personen. Insgesamt sind den Krankenmorden in der Zeit des Nationalsozialismus bis 1945 über 200.000 Menschen zum Opfer gefallen. 

Aus der Kreisirrenanstalt Kutzenberg wurden

„Patienten“ in die Vernichtungs-Anstalten überführt.

In der Stadt Coburg erinnern Stolpersteine an die Opfer der Euthanasie.

Deportation

entrechtet – deportiert – ermordet

26 Jüdinnen und Juden wurden am 27.11.1941 deportiert. Die Fahrt führte zuerst nach Nürnberg, von wo es am 29.11.1941 weiter ging, nach Riga. 60 Reichsmark hatte jeder für den unfreiwilligen Transport bezahlen müssen. 

Nur die ersten Wagen hinter der Lok waren beheizt. In völlig überfüllten Abteilen musste man mit dem Proviant auskommen, den man bei sich hatte. Bei der Ankunft in Riga war durch Massenerschießungen Platz für die Neuankömmlinge geschaffen worden. Am 08. und 09.12.1941 wurden alle im Ghetto Verbliebenen im ca. 15 km entfernten Wald von Rumbula ermordet. 

11 Personen wurden in weiteren Transporten am 24.04. und 09.09.1942 deportiert. 

Wir gedenken der Deportation von 37 Coburger Bürgern jüdischen Glaubens. Ihre Mitbürger ließen es zu, planten und wirkten mit, dass sie ermordet wurden. In der Erinnerung bleiben sie lebendig.

Gedenken der Deportation jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger

Deportation jüdischer Bügerinnen und Bürger aus Coburg

  • Transport nach Riga am 27.11.1941
    • Martin Saalfeld                      Raststraße 11
    • Meta Saalfeld                        Raststraße 11
    • Simon Rothschild                   Ketschengasse 6
    • Berta Rothschild                    Ketschengasse 6
    • Alfred Plessner                      Mohrenstraße 9b
    • Margarethe Plessner             Mohrenstraße 9b
    • Moritz Cramer                       Mohrenstraße 9a
    • Julius Weiß                             Mohrenstraße 1a
    • Selma Weiß                            Mohrenstraße 1a
    • Rosa Rosenthal                      Judengasse 20
    • Ignatz Stern                            Judengasse 20
    • Rosa Stern                              Judengasse 20
    • Jenny Katz                              Zinkenwehr 39
    • Thekla Sander                        Steinweg 38
    • Berta Drattler                         Ketschengasse 26
    • Meyer Levenbach                  Spitalgasse 4
    • Sabine Levenbach                  Spitalgasse 4
    • Else Lewy                               Spitalgasse 4
    • Walter Lewy                           Spitalgasse 4
    • Julius Klein                             Kanonenweg 33
    • Klara Klein                              Kanonenweg 33
    • Bella Ludwig                          Bahnhofstraße 25a
    • Ivan Bernstein                        Marienberg 2a
    • Elly Bernstein                         Marienberg 2a
    • Ursula Bernstein                    Marienberg 2a
    • Lotti Bernstein                       Marienberg 2a
  • Transport nach Kransniczyn am 24.4.1942
    • Hermine Kohn                        Mohrenstraße 10
    • Sally Ehrlich                            Zinkenwehr 39
    • Betty Friedmann                    Ketschengasse 6
    • Heßlein Strauß                       Steinweg 38
    • Jenny Kohn                             Zinkenwehr 42
  • Transport nach Theresienstadt am 9.9.1942
    • Jakob Altmann                       Kreuzwehrstraße 9
    • Josef Altmann                        Kreuzwehrstraße 9
    • Karl Friedmann                      Rosenauer Str. 7
    • Dora Frohmann                      Ketschengasse 6
    • Eduard Plaut                          Steinweg 15
    • Sali Altmann                          Zinkenwehr 39

Verfolgte Juden und Jüdinnen

Stolpersteine erinnern an das Schicksal der Verfolgten.

Wir beleuchten beispielhaft 4 Personen genauer:

engagiert – ausgegrenzt – ermordet

Kuno Hirsch wurde 1868 in Coburg geboren. Als einer der besten Schüler seines Jahrgangs nahm er am Gymnasium Casimirianum an der Bekränzung Casimirs teil.

Nach seinem Studium ließ er sich in Coburg als Rechtsanwalts nieder und brachte sich in das gesellschaftliche Leben der Stadt Coburg ein. Er war Syndikus der IHK, Stadtverordneter, Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) sowie Vorsitzender der Bezirksgruppe des Deutschen Anwaltsvereins. Der bulgarische Zar Ferdinand bestellte ihn in seinem Coburger Exil zu seinem Rechtsvertreter. Bereits vor der Machtergreifung der Nazis wurde Kuno Hirsch Opfer gewaltsamer Übergriffe. Durch die Gleichschaltung von Vereinen und Verbänden 1933 verlor er alle seine öffentlichen Ämter.

1938 musste Kuno Hirsch seine Kanzlei schließen und zog mit seiner Frau nach München. Später wurden sie über das Sammellager Berg am Laim ins KZ Theresienstadt deportiert. Dort wurde Kuno Hirsch am 30.11.1943 ermordet, seine Ehefrau am 07.11.1944.

engagiert – ausgegrenzt – ermordet

Esther Hirschfeld wurde 1920 als Tochter des Coburger Predigers, Musikkritikers und Lehrers Hermann Hirsch und seiner Frau Berta geboren. Ihre Eltern leiteten damals bereits seit drei Jahren die jüdische Internatsschule in der Hohen Straße 30.

Esther besuchte die Alexandrinenschule in der Unteren Anlage (heute: Gymnasium Albertinum) und wurde aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nicht nur von ihren Mitschüler:innen sondern auch von ihren Lehrer:innen gehänselt und verspottet. Deswegen wechselte sie als 15-jährige an ein Internat in Lausanne (Schweiz). Während der Reichspogromnacht wurde ihr Vater zum wiederholten Male verhaftet und misshandelt, die Schule ihrer Eltern zerstört und die Schüler:innen gezwungen die Glasscheiben des Gebäudes zu zerschlagen. 

Der Familie Hirsch war klar, dass ein weiteres Leben für sie in Deutschland nicht mehr denkbar war. Esther ging deswegen eine Scheinehe mit einem Palästinenser ein und ermöglichte so ihrer Familie die Ausreise. Obwohl Esther in Palästina ein erfülltes Leben führte, sagte sie im hohem Alter, dass sie sich aufgrund der Ereignisse in ihrer Kindheit in Coburg nirgends mehr sicher fühlen konnte.

engagiert – ausgegrenzt – ermordet

Martin Baer wurde 1885 in Coburg geboren, besuchte das Gymnasium Casimirianum und studierte  Jura. Nach seinem Abschluss betrieb er zusammen mit seinem Bruder Moritz eine Kanzlei in der Spitalgasse 4. Obwohl die Baers Juden waren, hatten sie überwiegend christliche Mitarbeiter:innen und Mandant:innen.

Bereits in den frühen 1920er Jahren boten sie Menschen Rechtsbeistand, die mit den Nazis in Konflikt standen. Nach der Machtergreifung wurden die Baers deswegen von der SS in der Prügelstube schwer misshandelt. In der Reichspogromnacht erkannten SA-Leute Martin Baer am Spitaltor und verfolgten ihn. Sie verprügelten Martin Baer mit einer Eisenstange und brachten ihn zur Polizei, wo er mit Fußtritten traktiert wurde.

Die elfjährige Anne Rubin, geb. Forchheimer, wurde Augenzeugin des Geschehens: „Noch heute schaudere ich, wenn ich mir das bestimmte Muster von roter Farbe vergegenwärtige. Damals war es natürlich keine Farbe, es war das Blut auf dem Gesicht von Dr. Martin Baer […]“ Nachdem sie alle Mandat:innen in Coburg verloren hatten, verließen die Baers ihre Heimatstadt. Martin Baer verstarb 1942 im Alter von nur 58 Jahren in London.

Ausgegrenzt – angegriffen – geflohen

Anne Rubin, geb. Forchheimer, kam 1927 in Coburg zur Welt. Mit ihren Eltern und ihren beiden Brüdern Peter und Frank wohnte sie in der Bahnhofstraße 30. Nach dem Verbot, eine staatliche Schule zu besuchen, wechselte sie in die jüdische Schule in der Hohen Straße. Auf ihrem Schulweg wurde sie von Schülern des Knaben-Gymnasiums mit Flüchen überschüttet und mit Steinen beworfen. Die jüdische Schule war für sie Tag für Tag der sichere Hafen.

Die Lage verschärfte sich mit der Reichspogromnacht 1938. Alle jüdischen Familien wurden am Marktplatz zusammengetrieben, ihr Vater mit den jüdischen Männern in die Angerturnhalle gebracht, dort festgehalten und für Wochen im Gefängnis interniert. Danach emigrierten Annes Vater und ihr Bruder Frank nach England. Anne folgte im Mai 1939 mit einem Kindertransport, kurz vor Kriegsbeginn konnte auch die Mutter nachkommen. Im Frühjahr 1940 setzte die Familie ihre Flucht nach Amerika fort. 2008 kam sie ein letztes Mal nach Coburg zurück. Am 14. November 2009 verstarb Anne Rubin im Alter von 81 Jahren.

Das Ende

Nach dem Krieg hielt sich für lange Zeit das Narrativ vom sogenannten unpolitischen Charakter der Wehrmacht. In welchen Umfang aber die Wehrmacht Teil der systemischen Gewalt waren, zeigt das Beispiel des „fliegenden Standgerichts“ unter Leitung des Majors Erwin Helm. Nur wenige Tage vor der Kapitulation der Stadt am 11. April 1945 hinterließ es seine blutige Spur im Raum Coburg vom 2. bis 8. April.

Unter Missachtung geltender Prinzipien der Militärjustiz die bereits weit fortgeschrittene Auflösung des Heeres aufzuhalten und auch Kapitulationsversuche der Bevölkerung zu unterdrücken. Helm und seine Leute durchsuchten gezielt Eisenbahnzüge. Soldaten, die im Chaos des Rückzugs keine gültigen Marschpapiere vorweisen konnten, wurden im Schnellverfahren als Deserteure verurteilt und sofort hingerichtet.

Ein besonders grausames Beispiel ist die Erschießung eines 18-jährigen Soldaten, der nach seiner Verurteilung versuchte zu fliehen, jedoch nach wenigen Metern tödlich getroffen wurde. Seine Leiche wurde zur Abschreckung zwei Tage lang in der Stadt zur Schau gestellt.

Nach Kriegsende mussten sich Major Helm und seine Mitstreiter in der DDR vor Gericht verantworten und wurden zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. 1956 wurde er im Zuge der Entstalinisierung in der DDR freigelassen und konnte unbehelligt in die Bundesrepublik übersiedeln, wo er bis zu seinem Tod 1993 lebte.

Karl Friedrich Borneff wurde am 7. April 1930 in Coburg geboren und verstarb nach Jahren schwerer Krankheit im Jahr 2000. Schon als Jugendlicher von 14 Jahren machte er sich heimlich mit einer Kamera auf den Weg und wurde damit zu einem wichtigen Zeugen von Gewalt und Krieg in dessen Endphase. So war er beispielsweise am 31. April 1944 vor Ort, um „hinter dem Rücken des Polizisten“ ein „abgestürztes amerikanisches Bombenflugzeug“ zu fotografieren – Aufnahmen, die auch einen heutigen Betrachter nicht gleichgültig lassen. Zudem lag sein Elternhaus in dem Viertel, das bei einem Bombenangriff am 8. April 1945 im ansonsten relativ wenig zerstörten Coburg die schwersten Schäden mit Todesopfern erlitt. Auch hier war er mit seiner Kamera zur Stelle.

Was Borneff in dieser Zeit erlebte, ließ ihn sein Leben lang nicht mehr los – es war für sein späteres Werk als Künstler von geradezu traumatischer Wirkung. Mit klarem Blick für die Realität stellte er sich den Themen seiner Zeit: Missbrauch politischer Gewalt, Krieg und Zerstörung, Konsumwahn auf der einen und stalinistische Verfolgung auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, Kalter Krieg und atomare Hochrüstung. So ist sein Werk zu verstehen – sei  es in Form kleiner Portraits oder großer, sozialkritischer Collagen – als ein Spiegel der Brüche und Widersprüche unserer Welt und bleibt damit ein aktuelles Plädoyer gegen ideologische Verengung, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Isolation, Ausgrenzung und eine durch Menschenhand gefährdete Umwelt. 

Der Name Borneff, obwohl vertreten in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen auf nationaler und internationaler Ebene, ist in seiner Heimatstadt heute relativ wenig bekannt.

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Beteiligt an der Umsetzung:

AK lebendige Erinnerungskultur

Gefördert durch:

Gestaltung/Umsetzung durch:

Chronik der deutschen Sozialdemokratie. – Band 1. – Stichtag: 18. / 21. Juli 1874. (n.d.). http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/chronik/band1/e235e288.html

Wikipedia-Autoren. (2009, January 22). Coburg in der Zeit des Nationalsozialismus. https://de.wikipedia.org/wiki/Coburg_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus#:~:text=Schwedenhochzeit%201932%2C%20Steinweg-,1929%20bis%201933,Nationalsozialisten%20in%20einer%20deutschen%20Stadt

29./30. November 1930: Angriff auf einen SPD-Lkw. (2011, April 20). https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2011/04/20/29-30-november-1930-angriff-auf-einen-spd-lkw/

Prügelstube. (2018, January 24). https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2018/01/24/pruegelstube/

Piper, E. & Bundeszentrale für politische Bildung. (2018). Geschichte des Nationalsozialismus (By Hildegard Bremer & Verena Artz). Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/10164_Nationalsozialismus_Leseprobe.pdf

Gedenken an Opfer der Nazi-Folterkammer. (2013, October 17). https://www.merkur.de/bayern/gedenken-opfer-nazi-folterkammer-coburg-zr-3170338.html

Deutscher Tag, Coburg, 14./15. Oktober 1922 – historisches Lexikon Bayerns. (n.d.-b). https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Deutscher_Tag,_Coburg,_14./15._Oktober_1922

Wikipedia-Autoren. (2008, December 19). Deutscher Tag. https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Tag#Coburg_1922

14.-15. Oktober 1922: Der „3. Deutsche Tag“ in Coburg, Teil II. (2014, July 29). https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2014/07/29/14-15-oktober-1922-der-3-deutsche-tag-in-coburg-teil-ii/